MRK Mensch-Roboter-Kollaboration

Die Mensch-Roboter-Kollaboration (sowie auch die Mensch-Roboter Kooperation) oder MRK spielt in der Berichterstattung in Fachzeitschriften, bei Roboter- und Automatisierungsmessen sowie in der Diskussion im Netz und den sozialen Medien eine weitaus größere Rolle, als es in den Fertigungs- und Fabrikhallen gelebte Realität ist. Nahezu alle Roboterhersteller versuchen der daraus resultierenden Nachfrage durch spezielle Roboter gerecht zu werden.

Seit Aufkommen des Trends sind darüber hinaus auch unzählige neue Anbieter von sogenannten Cobots neu auf den Markt gekommen. Auch hier spiegelt die Anzahl der Anbieter bei Weitem nicht die Realität in der industriellen Fertigung sowie den Bedarf an einer Vielzahl von  Anbietern wieder.

 

Fangen wir zunächst mit dem Begriff selbst an. Kollaboration bedeutet, dass zwei Individuen zusammenarbeiten, in der Form, dass die Arbeit jedes Einzelnen in der Summe zum Gesamtergebnis führt, sie also interagieren. Auf die Robotik übersetzt heißt das: bei der Kollaboration geht man von der interagierenden Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Arbeitsbereich ohne trennende Schutzeinrichtung aus. Unterschieden werden muss dann noch ob Roboter und Mensch gleichzeitig an einem Werkstück arbeiten (Kollaboration), oder nacheinander sich ergänzende Tätigkeiten ausführen (Kooperation). Der/die eigentliche(n) Roboterprozess(e) wird/werden dabei vom Roboter erledigt, der/die eigentliche(n) manuelle(n) Prozess(e) vom Menschen.

Das sagt Experte Dr. Matthias Umbreit von der Berufsgenossenschaft Holz und Metall zum Thema
Sehr informatives Interview mit Dr. Matthias Umbreit von der BG Holz und Metall mit der abschließenden Zusammenfassung "Drei Denkfehler bei Cobot-Projekten"
Automationspraxis_Oktober_2021_Interview[...]
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Was ist dazu erforderlich?

Die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen für Roboter(anlagen) sind in der Maschinenrichtlinie geregelt.

Außerdem gibt es seit Anfang 2016 die ISO/TS 15066, die erforderliche Richtlinien zur Realisierung von MRK-Systemen vorgibt.

 

Am einfachsten bewahrt man den Menschen vor Schaden an Leib und Leben durch trennende Schutzeinrichtungen. Arbeitet der Roboter ist der Mensch draußen, ist der Mensch drinnen, kann der Roboter nicht arbeiten. Dann kann der Roboter –egal wie groß und schnell- mit maximaler Geschwindigkeit verfahren, solange sichergestellt ist, dass er den Raum, der durch die trennende Schutzeinrichtung abgeschrankt ist, nicht verlässt. Ebenso können in diesem Betrieb alle weiteren Aggregate, die ebenso eine Gefahr für den Menschen darstellen können, ohne Einschränkung betrieben werden. Das sind z.B. die Werkzeuge, die am Roboter angebaut sind (z.B. pneumatische Greifer, Stanz-/Niet-/Schweißeinrichtungen) sowie sonstige Aggregate einer Automatisierungsanlage (z.B. Dreh- und Schwenkaggregate zur Positionierung von Bauteilen u.v.m.).

 

Wenn sich nun Roboter und Mensch in einem gemeinsamen Arbeitsraum bewegen sollen, müssen alle diese Gefahren vermieden werden. Das bedeutet konkret, dass entweder dynamische Schutzeinrichtungen, die einen Zugang erlauben und die Position eines Menschen detektieren verwendet werden, und/oder der Roboter eine bestimmte Geschwindigkeit und Kraft nicht überschreiten darf. Nur so kann sichergestellt werden, dass dem Mensch kein Schaden zugefügt wird, bzw. Kontakte und Kollisionen die für jede Körperregion nach Norm definierte maximale statische sowie dynamische Kraft nicht überschreiten. Die gleiche Anforderung gilt natürlich auch für alle weiteren Aggregate einer Automation, das ist logisch, denn was nützt der "best-harmloseste" Roboter, wenn ein pneumatischer Greifer dem kollaborierenden Werker den Finger quetscht. Es sind also langsame, leichte und sensitive Roboter erforderlich. Im Umfeld bedarf es spezieller Greifwerkzeuge mit geringer Kraft oder zusätzlicher Sensorik, bestimmte Prozesse (wie z.B. Schweißen) sind gänzlich ausgeschlossen.

 

Hier sind wir nun beim ersten Punkt angelangt: In Frage kommen also Prozesse, bei denen es nicht auf Geschwindigkeit und damit Taktzeit ankommt. Aufgrund der leichten Bauweise der meisten kollaborierenden Roboter ist die Genauigkeit signifikant schlechter als bei „normalen“ Industrierobotern, was entweder in Kauf genommen oder mittels zusätzlicher Sensorik kompensiert werden muss. Da gleichzeitig die Greifer ebenfalls nur gefühlvoll und vorsichtiger zugreifen können, ist auch hier Geschwindigkeit und Genauigkeit eingeschränkt.

 

Gehen wir jedoch nochmal einen Schritt zurück zu den Anwendungen, bei denen trennende Schutzeinrichtungen durch überwachende Sensorik (z.B. Bodenscanner, Lichtvorhänge o.ä.) ersetzt werden. Dafür gibt es unterschiedliche Motive, es handelt sich aber nicht um MRK-Anwendungen im Sinne der ISO/TS 15066. Sinnvoll kann diese Maßnahme nur sein, wenn der Mensch mit dem Roboter interagieren muss und es keine Möglichkeit gibt durch alternative Maßnahmen, wie z.B. einen Wechseltisch oder ähnliches, einen Austausch des Werkstückes zwischen Roboter und Mensch zu realisieren.
Eine Milchmädchenrechnung ist es in der Regel, wenn man ein solches System aufbaut, um vermeintliche Mehrkosten für einen Schutzzaun zu sparen.
Bodenscanner, Lichtvorhänge und der erforderliche Safety-Controller des Roboters plus komplexere Programmierung des Roboters mit Safety-Controller kompensieren die vermeintliche Ersparnis oder sind oft sogar noch teurer.
Ebenso geht der Plan meist nicht auf, wenn man auf diese Weise Produktionsfläche sparen möchte, da der zu überwachende Raum nach Maschinenrichtlinie entsprechend groß sein muss um Anhaltewege zu gewährleisten. Das bedeutet in der Regel, dass der vermeintlich zur Verfügung stehende zusätzliche Raum von Sicherheitseinrichtungen überwacht wird und der Roboter stoppt oder langsamer fährt, wenn er durchlaufen wird oder jemand etwas abstellt. In der Regel erweist sich das auf Dauer als echter Produktivitätskiller. Das Resultat: verminderte Produktivität, macht sich meist erst am Ende einer Schicht bemerkbar, da die Anlage ja ohne Fehlermeldung gelaufen ist, nur eben oft stand bzw. mit reduzierter Geschwindigkeit produziert hat.
Ebenso ausklammern aus den Betrachtungen können wir Anwendungen, bei denen Leichtbauroboter, die laut Hersteller für den Betrieb ohne Schutzzaun geeignet sind, ohne zusätzliche Schutzeinrichtung verwendet werden, die jedoch an ihrem Handgelenk ein Werkzeug tragen, welches eben nicht für den ungeschützten Betrieb geeignet ist. Dazu zählen z.B. Anwendungen bei denen ein pneumatischer Greifer angebaut wird, der einem Bediener einen Finger quetschen/brechen könnte, oder ein Werkzeug spitze Konturen hat o.ä. Mag hier der Roboterhersteller noch auf der sicheren Seite sein, so bewegt sich zumindest der Systemintegrator bzw. Anlagenbauer, der für die Anlage eine Konformitätserklärung ausgestellt hat sowie der Betreiber auf sehr dünnem Eis, wenn es zu einer Verletzung kommt.

Doch zurück zu unserem Ausgangspunkt.
In der Norm ISO/TS 15066 sind nun seit Anfang 2016 Kräfte definiert, die im kollaborativen Betrieb auf unterschiedliche Körperteile bzw. Regionen eines Menschen wirken dürfen. In der Norm wird dabei unterschieden zwischen den (statischen) Klemm-und Quetschkräften, den (dynamischen) Stoßkräften sowie der Druck- und Flächenpressung. Diese Grenz-Kräfte nehmen jedoch –je nach körperlicher Konstitution und Empfindlichkeit- z.B. blaue Flecken als Ergebnis eines ungewollten Kontaktes in Kauf. Klar ist natürlich auch, dass die Grenzwerte für Kollisionskräfte auf den Kopf eines Menschen sehr niedrig angesetzt sind. So ist z.B. die maximal zulässige Stoßkraft auf den Hals mit 35N definiert. Das wiederum würde für eine praktische Anwendung bedeuten, dass eine einigermaßen sinnvolle MRK-Applikation, bei der in Kopfhöhe eines Bedieners gearbeitet wird, nahezu unrealisierbar ist. Und damit sind wir beim zweiten Punkt angelangt: für MRK kommen also nur Anwendungen in Frage, bei denen der Roboter nicht in Kopfhöhe des Menschen arbeitet und außerdem die angebrachten Werkzeuge am Roboter bzw. Peripherie, kein zusätzliches Verletzungsrisiko darstellen.

Wenden wir uns nun noch der wirtschaftlichen Seite zu. Klassische Roboteranlagen werden in der Regel nach den Parametern Qualität, Taktzeit, Produktivität, Anschaffungskosten bewertet und realisiert oder eben nicht, wenn diese entscheidenden Kriterien nicht die Anforderungen erreichen. Das ist selbstverständlich, denn schließlich müssen entsprechende Investitionsentscheidungen ja auch vor Geschäftsleitung, Gesellschaftern oder Anteilseignern gerechtfertigt werden.
Wenn die Roboter jedoch nur langsam fahren dürfen, keine hohen Kräfte aufwenden können, aufgrund ihres Leichtbaus nicht die Genauigkeit vergleichbarer Standardroboter erreichen, gleichzeitig nur spezielle Werkzeuge verwendet werden dürfen und noch erheblicher zusätzlicher Aufwand für Sicherheitsmaßnahmen entsteht, wird es in der Regel sehr schwierig werden in diesem Bereich wirtschaftlich zu investieren.

 

Last but not least lohnt noch ein Blick darauf, woher die große Popularität der MRK kommt. Wesentliche Treiber des vermeintlichen Trendthemas waren und sind zunächst neuere Roboterhersteller, die mit reinen Leichtbaurobotern und dem Versprechen diese ohne Schutzzaun betreiben zu können, auf den Markt gekommen sind. Danach hat dann Kuka bei einer Hannover Messe und der Automatica jeweils Messestände komplett mit dem Leichtbauroboter LBR iiwa ausgerüstet. Daraufhin sind irgendwann nach und nach auch die übrigen etablierten Roboterhersteller mit unterschiedlichen Konzepten nachgezogen. Parallel fanden die großen deutschen Automobilhersteller, die bis dahin eher durch ihre restriktiven Vorgaben hinsichtlich Robotik und Sicherheit aufgefallen waren, Gefallen daran mit diesem Trend zu experimentieren.

Es wurde also in den letzten Jahren seitens der Roboterhersteller ein sehr hoher Aufwand betrieben, der sich nun auszahlen muss, was wiederum den Trend verstärkt.

 

Doch wer definiert nun geeignete Aufgabenstellungen bzw. wer ist dann verantwortlich für markttaugliche Lösungen, die auch den üblichen technischen und wirtschaftlichen Anforderungen der Endanwender genügen, hervorzubringen?

 

Die meisten der bisher bei Messen, Symposien und in der Presse vorgestellten Anwendungen bewegen sich aktuell noch eher im Visionsstadium. Ebenso gibt es in vielen Unternehmen entsprechende „Muster-Installationen“, die in erster Linie aus Imagegründen und als Zeichen, dass man modern und Teil des Trends ist, realisiert wurden. Die Endkunden hätten generell gerne am liebsten das Beste aus beiden Welten: Roboteranwendungen ohne Schutzeinrichtungen, die schnell und präzise und mit hoher Zuverlässigkeit arbeiten und dabei möglichst wenig kosten.
Im Sandwich dazwischen sind Anlagenbauer und Automatisierer wie wir, die einerseits an die Einhaltung der Normen und Richtlinien zur Sicherheit des Bedienpersonals gebunden sind und bei einem Personenschaden in der Haftung sind, andererseits die hohen Performance- und Wirtschaftlichkeitsansprüche der Endkunden befriedigen müssen. Was den meisten Endkunden dabei nicht bewusst ist, ist dass sich auch für sie beim Betrieb von MRK-Anlagen eine völlig neue Verantwortungslage ergibt. Da sich u.U. durch veränderte Roboterpositionen im Vergleich zum Auslieferungsstand eine völlig neue Gefährdungslage ergeben kann, sind bei MRK-Anlagen die Betreiber deutlich mehr in der Verantwortung als sie es bisher waren.

 

Aus unseren bisherigen Erfahrungen mit diesbezüglichen Anfragen lassen sich diese Anforderungen derzeit noch nicht unter einen Hut bringen. Zumal bei den meisten Unternehmen in der Regel noch ausreichend Automatisierungspotenzial für klassische Roboterlösungen bieten.

 

Wir verfolgen das Thema MRK jedoch weiter in einer kritisch-offenen Haltung und sind gespannt, wie es sich  weiter entwickelt. Im Rahmen unseres Forschungsprojektes ForceRob haben wir ausgiebige Versuche mit kollaborativer Robotik durchgeführt und wären grundsätzlich in der Lage und bereit entsprechende Lösungen anzubieten, wenn der Kunde bereit ist die vorgenannten Randbedingungen zu berücksichtigen.

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